‚Der Fuchs wechselt sein Haar und bleibt doch der er war‘
2023 | Objekt
Fuchsfellkurzmantel, Haarschmuck, Haarklammern, Lockenwickler und Haargummis
20 x 110 x 100 cm
Objekte ‚Tier-Mensch-Übergangsfeld‘ ‚Tier-Mensch-Übergangsfeld‘ ist ein Begriff aus der Terminologie der Biologie und bezeichnet einen zeitlichen Bereich, in welchem sich die Menschen im Laufe der Evolution von ihren tierischen Vorfahren gelöst haben. Diese Entwicklung stellt zugleich den Verlust des Paradieses und den Gewinn an Erkenntnis bzw. Macht dar. Es gab scheinbar in einem ‚Feld‘ den paradoxen Moment, wo Menschen begriffen, dass sie weitgehend haarlose Tiere sind ... und so wurden sie zu Menschen. Je nach Sichtweise kann dieser Umstand als bedauerlich oder beglückend empfunden werden.
In meinen Arbeiten der Serie ‚TMÜ‘‘ (‚Tier-Mensch-Übergangsfeld‘‘) stelle ich einerseits infrage, ob Tier und Mensch überhaupt kategorisch getrennt werden können, betone also die Gemeinsamkeiten. Die Definition ist schließlich willkürlich vom Menschen festgelegt. Die Trennung Tier – Mensch ist als naturwissenschaftliches, aber auch als ethisches Konzept fragwürdig. Was ist also Mensch? Wer ist ein Tier? In der klassischen, vergleichenden Ethologie gelten vor allem der aufrechte Gang, die Sprache und die Fähigkeit zur Selbstreflexion als Indizien für eine Menschwerdung. Witzigerweise bezeichnet sich allerdings der Hund ‚Bunny‘, der über eine Art sprechende Tasten mit Menschen kommunizieren kann, sowohl selbst als auch seine Besitzerin als ‚human‘ (Mensch), während er seinen jüngeren, hündischen Spielfreund, der es (noch) nicht versteht, die Worttasten zu bedienen, als ‚animal‘ (Tier) beschreibt.
Ich verwende tierische und menschliche Materialien in meinen Werken dieser Serie, wobei es sich bei diesen ‚Materialien‘ um ‚Objets trouvés‘ handelt: Eine Lederjacke mit Pelzkragen, eine Kleiderbürste mit Schweineborsten, eine Uschanka mit Kaninchenfell, eine Rotfuchsstola. Die verwendeten Felle, die Pelze und das Leder sind aus zweiter Hand erworben worden. Die Haare stammen von Familienangehörigen, von mir selbst oder aus Geschäften für Friseurbedarf. Dabei werden Tier- und Menschteile von mir in ähnlicher Form eingesetzt: Meine eigenen Haare ‚wachsen‘ zwischen Pelzhaaren, Schweineborsten ‚vermischen‘ sich mit Menschenhaarsträhnen. So verknüpfe ich, verknote, verklebe, verwische ich Grenzen. Haare, Fell, Borsten, aber auch Hufe, Hörner, Geweihe, Krallen, Federn, Schuppen, Panzer, Finger- und Fußnägel: all das besteht – biochemisch betrachtet – aus Horn, genauer aus bestimmten, abgestorbenen, mit Keratin angefüllten Zellen.
Andererseits stelle ich in meinen Arbeiten der Serie Tier-Mensch-Übergangsfeld zugleich die Unterschiede zwischen Mensch und Tier heraus. Die Gegenstände tierischen Ursprungs – wie Fell - stehen Materialien von menschlichen Körpern – wie Haaren – in dieser Serie auch konträr gegenüber, weil die menschlichen Materialien von lebenden Lebewesen, die tierischen Materialien aber von getöteten stammen. Das – zum Beispiel – trennt den Menschen vom Tier oder das Tier vom Menschen.
Über die Verarbeitung von Eigenhaar, welches von mir oder von meinen Familienangehörigen stammt, kommt ein dritter, der persönliche Aspekt hinzu. Der Aufbewahrung von Haar kam in der Geschichte der Menschen besondere Bedeutung zu. Es wurde übergeben, um ein Teil einer geliebten Person zu erhalten; sie bei sich zu tragen, sie anzuschauen. In der Romantik kam z. B. das Haarbild auf, eine Form des Volkskunstwerkes, in welchem Haare geflochten und blumenartig angeordnet wurden. Brautleute schenkten sich gegenseitig Locken. Auch heute noch werden Strähnen von Säuglingshaaren aufbewahrt. Diese Haare – hinter Glas oder in Schmuckstücken verarbeitet – können als „säkularisierte Reliquien“ (Walter Benjamin) betrachtet werden. Dem Haar kam aber in der Geschichte der Menschen bereits zuvor besondere Bedeutung zu. Es wurde in okkulten Riten verwendet oder spielte in Opferkulten eine Rolle. Das Abschneiden von Haaren oder die angeordnete massive Veränderung der Frisur wird/wurde als Strafe oder Demütigung verwendet, die selbst gewählte dagegen z. B. als symbolische Verstärkung eines Eintritts in einen anderen Lebensabschnitt oder in eine neue Gemeinschaft.
Es gibt eine Verbundenheit zum Tier. Sie zeigt sich in der Liebe zu Stofftieren, dem Wunsch nach Tieren in Geschichten und Comics, Animationen und Filmen, im Halten von Haustieren und der Sehnsucht nach Begegnungen mit Tieren in der Natur. „Und doch ist das Tier verschieden und kann nie mit einem Menschen verwechselt werden. Daher schreibt man Tieren eine Macht zu, die sich zwar mit menschlicher Macht vergleichen läßt [sic], doch niemals mit ihr zusammenfällt. Das Tier hat etwas Geheimnisvolles, das, anders als die Geheimnisse der Höhlen, Berge und Meere, sich in besonderer Weise an den Menschen wendet.“ (John Berger)
Die von mir verwendeten ‚familiären‘ Haare erfahren durch ihre ‚Kunstwerdung‘ eine symbolische Erhöhung, die Person(en) fast eine Form der ‚liebevollen Unsterblichkeit‘ und Vereinigung mit einer Tier-Natur.
Sich mit Tieren behängen, Pelze tragen, d. h. Tiere häuten und sie anziehen – dieses menschliche Verhalten hat auch einen archaischen Aspekt. Kann ich mich als Tier fühlen, indem ich in Tierfelle schlüpfe, sie mir umhänge? Bin ich ihnen (wieder) näher, wenn ich sie töte – so wie Raubtiere ihre Beute reißen? Darf ich mich – ‚Pferdeschwanz‘ tragend – zum Galopp hinreißen lassen? Bin ich wieder ‚mehr Natur‘, wenn ich mich künstlerisch mit der Beziehung zwischen Menschen und Tieren auseinandersetze? Auch diese Fragen will ich (mir) mit meiner Serie Tier-Mensch-Übergangsfeld
stellen.
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‚Der Fuchs wechselt sein Haar und bleibt doch der er war'
2023 | Objekt
Secondhand-Fuchsfellkurzmantel, Haarschmuck, Haarklammern, Lockenwickler und Haargummis
20 x 110 x 100 cm
Objekt Lange Haare, langer Sinn Das Sprichwort „Lange Haare, kurzer Sinn“ bezieht sich auf die Haartracht von Frauen der letzten Jahrhunderte und war noch Mitte des letzten Jahrhunderts geläufig. Er diente dazu, Frauen den Verstand abzusprechen, sie also abzuwerten. Meine Arbeit Lange Haare, langer Sinn kehrt den Spruch um und erhöht ausgleichend die Damen. Indem die langen Haare hier an einer Kleiderbürste zu finden sind, verweist diese außerdem auf den traditionellen Arbeitsbereich von Frauen, welcher mittels Haarextension von mir ‚verschönert‘ wurde.
Die Frauenhaare würden allerdings bei der Verwendung dieser Bürste als Putzgerät dienen. Hier liegt eine Überschneidung mit der Thematik der Serie „Tier-Mensch-Übergangsfeld“ mit der Thematik der Werkgruppe „Frauenzimmer“ vor. Tier- und Menschenhaar vermischen sich, erhalten die gleiche Funktion, stehen auf einer Ebene.
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Objekt Lange Haare, langer Sinn Das Sprichwort „Lange Haare, kurzer Sinn“ bezieht sich auf die Haartracht von Frauen der letzten Jahrhunderte und war noch Mitte des letzten Jahrhunderts geläufig. Er diente dazu, Frauen den Verstand abzusprechen, sie also abzuwerten. Meine Arbeit Lange Haare, langer Sinn kehrt den Spruch um und erhöht ausgleichend die Damen. Indem die langen Haare hier an einer Kleiderbürste zu finden sind, verweist diese außerdem auf den traditionellen Arbeitsbereich von Frauen, welcher mittels Haarextension von mir ‚verschönert‘ wurde.
Die Frauenhaare würden allerdings bei der Verwendung dieser Bürste als Putzgerät dienen. Hier liegt eine Überschneidung mit der Thematik der Serie „Tier-Mensch-Übergangsfeld“ mit der Thematik der Werkgruppe „Frauenzimmer“ vor. Tier- und Menschenhaar vermischen sich, erhalten die gleiche Funktion, stehen auf einer Ebene.
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Lange Haare, langer Sinn
2023 | Objekt
Secondhand-Kleiderbürste mit Echthaarborsten, Echthhaar-Extensions
7 x 60 x 45 cm
gerade noch Tier, nun Mensch, nun Frau oder Mann / auf welchem Feld zum Gegenschlag ausholen? / verlorenes Fellkleid, üppiges Gewand / animale Umkehr, humane Bedürftigkeit
gerade noch Tier, nun Mensch, nun Frau oder Mann / auf welchem Feld zum Gegenschlag ausholen? / verlorenes Fellkleid, üppiges Gewand / animale Umkehr, humane Bedürftigkeit
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Das sitzt ihr noch zwischen Fell und Fleisch
2022 | Objekt
Secondhand-Lederjacke mit Echtfellkragen, menschliches Eigenhaar
10 x 95 x 85 cm
Objekte ‚Good Girl‘, ‚Der Fuchs ... ‘ und Top Two
Im Falle der Arbeiten ‚Good Girl‘ und ‚Der Fuchs wechselt sein Haar und bleibt doch der er war‘ kehre ich die ‚Haar-Verhältnisse‘ um: Im ersteren Falle wird der Fuchs mit Menschenhaar geschmückt, während er vermutlich gezüchtet und getötet wurde, um Menschen zu schmücken. Im zweiten Falle wird das Fuchshaar wie Menschenhaar behandelt.
In beiden Arbeiten sind zudem meine Kinder thematisch involviert. Dazu sind im erstem Fall Haare meiner Tochter verwendet worden und im zweiten Fall präsentiert mein Sohn die Arbeit.
Top Two meint die zweite, doppelte Etage: Im Falle dieser Arbeit gibt es zwei ‚Kopfbedeckungen‘, wobei die Perücke nicht den Kopf, sondern die Fellmütze bedeckt.
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‚Good Girl‘
2023 | Objekt
Secondhand-Fuchsstola, menschliches Haar
8 x 130 x 60 cm
Haare nicht vergessen / Haare vergessen / Haare vergessen nicht / vergiss Haare nicht
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Top Two
2023 | Objekt
Secondhand-Kaninchenfell-Uschanka, Perücke, Modellkopf oder Hutständer
27 x 30 x 27 cm
aus der Natur erwachsen / auswachsen/ nachwachsen / in die Natur hineinwachsen
Werkgruppe Naturgewalten
Die Natur ist gewaltig, launisch, elementare Kräfte wirken hier. Sind Menschen/ist Natur gewalttätig? So äußern wir uns zur Natur: „Ich bin überwältigt!“ „Das ist doch nur natürlich!“ „Das darfst du nicht, das ist wider die Natur!“ „Wunder der Natur“
KulturNatur – Frohnatur – Urnatur – Naturerfahrung: Doppelnaturen. Lass mich naturbelassen. Lass mich die Natur belassen. Ich möchte einen Hund haben in Feld und Wald – so fühle ich.
„Die Natur betrügt uns nie. Wir sind es immer, die wir uns selbst betrügen.“ (Jean-Jacques Rousseau)